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Napoleon, das Schwein, gefährlicher Badespaß in der Tonkuhle und Nachrichten über Bernburg - Fünf E-Books von Freitag bis Freitag zum Sonderpreis

(lifePR) (Pinnow, )
Wie hat das damals, vor nunmehr 33 Jahren, alles angefangen? Und wie ist es weitergangen? Gemeint sind die Wendezeiten und die Deutsche Einheit und ihre Folgen. Einen originellen Blick auf die damaligen Ereignisse bietet das zweite der insgesamt fünf aktuellen digitalen Sonderangebote dieses Newsletters, die wie immer eine Woche lang zum Sonderpreis im E-Book-Shop www.edition-digital.de (Freitag, 14.10. 22 – Freitag, 21.10. 22) zu haben sind. In ihrer Fabel „Neue Farm der alten Tiere“ schaut Sonja Voß-Scharfenberg zurück und in gewisser Weise auch nach vorn.

Ebenfalls von Sonja Voß-Scharfenberg stammen zwei Erzählungsbände mit Geschichten über kleine Leute, von denen sonst nicht so oft die Rede. Ihnen gibt die Autorin in „Im Gelben“ und in „Gegenwind“ eine Stimme. Eine lesenswerte Stimme.

Spannende Nachrichten über „Die kleine Residenz“ an der Saale präsentiert der gebürtige Bernburger Volker Ebersbach in seinem ebenso dicken wie materialreichen Lesebuch über Bernburg, in dem zum Beispiel auch Kaiser Napoleon eine gewisse Rolle spielt – wenn in diesem Falle im Verhältnis zu seinen sonstigen Auftritten auch eine sehr kleine, die auf dem Viehmarkt der Saalestadt spielt.

Und damit sind wir wieder beim aktuellen Beitrag der Rubrik Fridays for Future angelangt. Jede Woche wird an dieser Stelle jeweils ein Buch vorgestellt, das im weitesten Sinne mit den Themen Klima, Umwelt und Frieden zu tun hat – also mit den ganz großen Themen der Erde und dieser Zeit. Wieder einmal blicken wir nach Afrika. Allerdings ist es ein historischer Blick, denn er geht in diesem Falle fast ein halbes Jahrhundert zurück, in die Mitte der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts. Es geht um Angola, wo der Schriftsteller wieder einmal mitgearbeitet, genau hingesehen und vieles aufgezeichnet hat – entweder in kleinen Notizbüchern oder im Kopf. Aus diesen zweifachen Notizen ist ein spannendes Bild der Kämpfe, der Siege und Niederlagen der fortschriftlichen Kräfte im damaligen Afrika entstanden, das nicht zuletzt zeigt, wie schwierig es für den Autor aus der damaligen DDR trotz seiner unbestritten guten Absichten war, das Vertrauen der Einheimischen zu gewinnen. Zugleich bekommt man eine Ahnung davon, wie es wohl heutigen Flüchtlingen aus Afrika in Europa ergehen mag, wo sie viele Leute gar nicht haben und am liebsten so schnell wie möglich zurückschicken wollen in ihre Herkunftsländer – diese schwarzen Störenfriede in der weißen Festung Europa. Wer hat Angst vor dem schwarzen Mann?

Erstmals 1988 erschien im Verlag Neues Leben Berlin „Shilumbu. Was will er in Afrika“ von Jürgen Leskien: Wieder war Jürgen Leskien in Afrika, wieder in Angola. Diesmal sieben Autostunden von der Hauptstadt Luanda entfernt im SWAPO-Camp, dem „Namibia Health and Education Center“. Dort lebt er unter vielen Frauen, der „Shilumbu“, der weißhäutige Mann. Was will er in Afrika?

Der Autor berichtet in seiner aus vielfältigem Material komponierten Collage auch über die Schwierigkeit der Frauen dort, ohne Männer leben zu müssen und doch diese Sehnsucht nach Zweisamkeit zu haben.

Alle versichern ihm, dass der Begriff „Shilumbu“ kein Schimpfwort sei. Aber das änderte nichts. Tauchte er in einem Winkel des Camps auf, in dem man ihn nicht kannte, erwiderten die Erwachsenen seinen Gruß, ihn neugierig anschauend, mit Zurückhaltung, aber keineswegs unfreundlich. Die Kinder indes, die kleinen vor allem, schrien es heraus, angstvoll mit schreckensweiten Augen. Noch mehr schmerzten ihn aber die Bemerkungen und die Verachtung der Halbwüchsigen. Was will er in Afrika, Shilumbu? Hier ein kurzer Ausschnitt vom Anfang dieser spannenden Collage:

DAS TRANSIT-CAMP

Letztmögliche Zuflucht für den einen, schon Zwischenstation für den anderen.

Wer direkt aus der Heimat kam, sich in den für eine Flucht viel zu kurzen Nächten durch das Kaokoveld geschleppt hatte, wer den Cunene erreichte und übersetzen konnte, wer über das Mondgebirge in die freie Stadt Lubango gelangte, der war auch bald hier, im Camp Viana, am Rande Luandas.

Die Zelte, ohne sichtbare Ordnung aufgestellt zwischen den Mangobäumen einer Fazienda, verhießen Ende und verhießen Neubeginn. Leben ohne Angst vor allem.

Mancher kam allein, obwohl sie zu dritt aufgebrochen waren, dann bestimmte Trauer die ersten Tage im Camp, und ein Gefühl von Schuld kam auf. Oft fanden sich hier Familien, endlich nach Jahren der Trennung. Wiedersehensfreude, die alle einschloss, Wehklagen auch um den, der nun für immer fortblieb. Und dann tiefer Schlaf, der von allen hier durchlebte ohnmachtsähnliche Schlaf nach der Flucht. Einen Tag, eine Nacht und noch einen Tag. Erwachen zur Unzeit, weil aufgeschreckt vom Lärm eines Autos. Das beruhigende Wort des unbekannten Pritschennachbarn.

Ungelenke Schritte aus dem Zelt ins Freie, wie nach einer langen, schweren Krankheit. Die niedrigen Feuer vor den Zelten, das morgendliche Flüstern der Frauen. Wieder seien fünf angekommen, hörte man. Über Botsuana, Sambia, London, Paris hierher. Der freudige Aufschrei, da einer den Totgeglaubten wiederfand, die Betroffenheit, wenn sich die schlimme Ahnung bestätigte. Lebensäußerungen, die sich, variiert, täglich wiederholten. Die erste, mit Genuss verzehrte warme Mahlzeit. Essen ohne Gier, Gindungo herausschmeckend und das Pfefferkorn. Nachsalzen möglich, wo hatte man das je erlebt! Und plötzlich wieder dieses verhasste Wort - Abschied. Der Truck wartet bereits. Abfahrt ins große Camp, ins Camp Kwanza-Sul. Über vierzigtausend leben bereits dort, hatte man erfahren. Vierzigtausend Menschen. Ist das viel, ist das wenig? Vier Menschen gehören zu einer kleinen Familie. Vierzig Menschen sich vorzustellen ist einfach, dreiundvierzig waren bei der Hochzeit der ältesten Tochter zu Gast. Vierhundert leben im Nachbardorf am Fluss. Das war noch gut in Erinnerung. Aber vierzigtausend! Der einzelne ist dann der vierzigtausendste Teil eines Ganzen! Wird er nicht verloren gehen, wird man ihn überhaupt in seiner Winzigkeit als einzelnen erkennen?

Und neben dem hoch beladenen Truck der Bus, der zum Flugplatz fährt. In ihm und um ihn die anderen, die auf Zwischenstation, jene, die eben aus den Bergen kamen. Gesund und selbstbewusst, ein wenig Melancholie in der Stimme. Die Schwüre, einander nicht zu vergessen, auch wenn man im fernen Europa studiert ... In den Gesichtern noch Spuren einer letzten, hastigen Umarmung, irgendwo hinter einem der Zelte, auf irgendeiner Lastwagenplane. Angst, sich zu verlieren, nun für immer vielleicht, da sie nach Berlin fliegt, um Krankenschwester zu werden, und er zur Elektrikerausbildung auf die Bahamas.

Im Schweiß schon hocke ich im spärlichen Schatten eines Mango. Längst habe ich es aufgegeben, dem Staub zu entweichen, den ein träger Morgenwind über den festgetretenen Boden wälzte. Beim Nahen der Sandfahne schloss ich die Augen, ich spürte ihn zwischen den Zähnen, den feinen Abrieb, der entsteht, wenn Füße und Erde einander berühren. Mein Kontakt mit der Wahlheimat war inniglich. Ich lauschte, versuchte, dem Stimmengewirr zu entnehmen, was unserer Abfahrt im Wege stand. Der auf- und abschwellende Strom aus Oshivambo und Afrikaans, aus Herero und Damara verriet mir, dem Neuling, nichts. Selten nur ein Brocken Englisch. Herbeigewünscht, aber nicht zu vernehmen, das Portugiesisch. Ich tastete nach der Tasche mit den Projektunterlagen.

Warum hatte es niemand eilig? Häuser sollten gebaut werden für Kinder, Termin des Baubeginns: der gestrige Tag ...

Der Singsang der Wartenden hüllte mich ein, trug mich davon. „Comrade!“ Ich schreckte auf. Vor mir kauerte eine junge Frau, sie bot mir in einem verbeulten Blechnapf Wasser an. Neugier sah ich in ihrem Blick. Der Anflug eines Lächelns löste sich auf, als ich sie länger, als es Takt gebot, anschaute.

Unterhalb der Augen zierten winzige Narben ihr Gesicht, Schmucknarben. Ich unterdrückte die Regung, die Zeichnung mit den Fingerspitzen zu berühren, nahm ihr hastig das Gefäß aus den Händen. Ein Schwapp Wasser benetzte unsere Arme, die junge Frau fuhr zusammen. Ein unwilliger Zug machte sich in ihrem Gesicht breit.

Ich trank in vollen Zügen, augenblicklich brach mir der Schweiß aus. Über den Rand des Blechnapfes sah ich erwartungsvolle Blicke auf mich gerichtet. Der Konvoi hatte sich formiert. Als ich den Napf absetzte, fuhr der erste Wagen an. Ein Zehntonner, bepackt mit Maismehlsäcken, auf denen Soldaten mit geschulterten Panzerbüchsen hockten.“ Und damit zu den ausführlicheren Vorstellungen der anderen vier Sonderangebote dieses Newsletters:

Die 2., überarbeitete Auflage von „Neue Farm der alten Tiere“ von Sonja Voß-Scharfenberg erschien 2014 im WiedenVerlag Crivitz: Dem Ostdeutschen geschrieben und dem Westdeutschen ins Nest gelegt - so kommentiert die Schweriner Autorin ihr Buch „Neue Farm der alten Tiere“.

Nahm George Orwell mit seiner 1943/1944 entstandenen Parabel „Die Farm der Tiere“ noch den Stalinismus Ende der Dreißiger-, Anfang der Vierzigerjahre mit beißendem Spott aufs Korn, so wird die Farm hier zum Schauplatz der Wende und der Wiedervereinigung.

Ein fantasievolles Buch, das die Ereignisse unserer jüngsten Vergangenheit mit einem lachenden und einem weinenden Auge ins Reich der Fabel rückt.

Zugleich unterhaltsam und bitterernst schärft es den Blick auf die Geschehnisse in diesem Land.

Ein „Wendebuch“ besonderer Art, das mit Sicherheit die Gemüter erhitzen wird.

In seiner Neuauflage, fünfundzwanzig Jahre nach dem Mauerfall macht das Buch sich abermals auf den Weg, sich in die euphorischen Gesänge zu drängen und dem rauschenden Feste beharrlich vom nackten Kaiser zu sprechen. Aber wer spielt darin eigentlich mit? Hier zunächst eine kleine Vorstellung und dann der Anfang dieses originellen Textes:

`„Farm der Tiere – Personage

Mr. Pilkington, ein Mensch; Besitzer der Nachbarfarm der Farm der Tiere

Knecht von Mr. Pilkington, der sich später Herr auf der Farm der Tiere nennt

Seine Frau, die Herrin

Mr. Fredereck, ein Mensch – Besitzer der Nachbarfarm zur gegenüberliegenden Seite

Old Major (verst.), ein Keiler, Anführer der Revolution auf der damaligen Herrenfarm, Verkünder der Vision von der Gleichheit der Tiere

Napoleon. Schwein: Herrscher auf der Farm der Tiere

Schwatzwutz, Schwein, sein Propagandist

Minimus, Schwein, Napoleons Hofdichter

Rotäuglein, Schwein, Napoleons Vorkoster (wird nur einmal erwähnt)

Kleeblatt, eine Stute; Arbeitspferd

Boxer, (verst.) ein Hengst; Kleeblatts verstorbener Partner

Bill und Randolph. Hunde; Leibwächter und Sicherheitsangestellte der Schweine

Muriel, eine Ziege; Bürgerrechtlerin der Farm der Tiere, Reformerin auf der Tierfarm

Benjamin, ein Esel; eigenwilliger Farmbewohner, Einzelkämpfer ohne Gemeinschafssinn

Mollie, eine Schimmelstute; von der Farm der Tiere geflohen, Karriere bei Mr. Pilkington

Blacky, ein Hengst; Mollies Freund auf der Pilkingtonfarm

Moses, ein Rabe; Vertreter des Glaubens und Unterstützer der Reform auf der Farm

Schneeball, ein Schwein; Revolutionär der 1. Stunde noch unter Old Major, Idealist, wurde von Napoleon verfolgt und musste die Farm verlassen, floh zur Pilkingtonfarm

Bob, ein Schafsbock; Vertreter der Schafe im Gemischten Kreis

Nic, ein Hahn; Vertreter der Hühner im Gemischten Kreis

Beth, eine Kuh; Vertreterin der Kühe im Gemischten Kreis

Cally, die Bunte, eine Kuh – ängstlich und misstrauisch den Ereignissen gegenüber

Frank, ein junger Bulle; Callys Freund

Die Masse der Hühner (ein Huhn, das die 1000-Eier-Entschädigung fordert)

Die Masse der Schafe

Die Masse der Kühe

Die Masse der Enten (eine Ente, die die Frage nach dem verschwundenen Erpel verfolgt)

Die Masse der Tauben, Berichterstatter, Journalisten (eine davon: Linda)

Ganter; namenlos, fordert Bildung für die Gänse

Kirk, ein Schwein auf der Pilkingtonfarm, Widersacher von Schneeball, Lakai von Mr. Pilkington

Katze, namenlos

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Ein Jahr, nachdem die Stute Kleeblatt und die anderen Tiere der Farm durch die Fenster des Herrenhauses geschaut hatten und Augenzeuge der Vermenschlichung der Schweine geworden waren, hatte sich die Lage, wie Napoleon und Schwatzwutz die Gegebenheiten der Farm gern bezeichneten, für die Tiere in den Stallungen noch verschlechtert.

Zwar waren ihre Futterkästen einigermaßen gefüllt und sie hatten mit Hilfe der Windmühle ihrer Ansicht nach gute Arbeit getan, und also gute Wirtschaft geführt, aber Schwatzwutz redete ihnen immer häufiger von der dringenden Notwendigkeit, Menschenzahlungsmittel, nämlich Geld, zu erwirtschaften.

Das gemahlene Getreide ging zu großen Teilen an Mr. Pilkington und seinesgleichen, wofür, wie Schwatzwutz nicht ohne Stolz mitteilte, erhebliche Summen Menschenzahlungsmittel auf die Farm gelangten.

Das mochte stimmen oder nicht, Kleeblatt und die anderen hatten darüber keinerlei Übersicht. Und wofür diese Menschenzahlungsmittel zu verwenden seien, war ihnen ziemlich unklar, denn ihnen kam davon, wie sie bemerken mussten und seit dem Geschehen – durch die Fenster belauscht – auch immer öfter leise diskutierten, nichts zugute.

Es hatte auch in diesem letzten Jahr wieder mehrere Hinrichtungen gegeben, ausgeführt von Napoleons scharfen Hunden, unter Ausschluss der Öffentlichkeit allerdings.

Man hatte dieses oder jenes Tier vermisst und sich gegenseitig nach dessen Verbleib gefragt.

Einmal, als es sich um zwei Hühner handelte, hieß es, sie seien, nach fetten Würmern zu suchen, dem Tor zu nahe gekommen.

Das Tor zur Nachbarfarm war schon seit langem verschlossen, und ausschließlich Napoleon war es vorbehalten, zwecks Verhandlungen, die Schwatzwutz diplomatische Beziehungen nannte, die Farm zu verlassen.“

Erstmals 2004 wurde der Band „Im Gelben. Geschichten aus Mecklenburg. Bibliothek Mecklenburg-Vorpommern, Band 3“ von Sonja Voß-Scharfenberg“ vom Literaturhaus Kuhtor Rostock herausgegeben: Die Landsleute hier betrügt man nicht mit einem bisschen einheimischer Sprache. Schon gar nicht betrügt man sie mit einem noch größeren und einem noch sicheren Auto.

Man fährt Auto und gut. Und mit diesem Auto entfernt man sich nach Möglichkeit nur so weit, dass man am Abend wieder zu Hause ist. Das ist sehr, sehr mecklenburgisch. Das Reisen überlässt man hier am liebsten den Zugvögeln und der Fantasie. Hier ein Beispiel:

Geschichten

Lebens Lauf I

Neun war ich, als ich beim verbotenen Baden in der Tonkuhle beinahe ertrunken wäre. Ich war geschwommen und wusste nicht, dass ich es schon konnte. Als ich bemerkte, dass ich sehr weit vom Ufer entfernt war, ging ich sofort unter.

Meine Freunde glaubten lange, es sei ein Badespaß gewesen.

Ich hatte keine Angst. Ich dachte: Jetzt kommt der Tod. Und an meine Tante dachte ich, die vor kurzem ins Wasser gegangen war, ihr Baby um den Leib gebunden, damit es nicht abtrieb.

Als meine Freunde mich ins verbrannte Gras setzten, dachte ich: Jetzt weiß ich, wie der Tod ist, und Oma darf nichts rauskriegen.

Ich zählte mir die Menschen auf, die um mich geweint hätten. Ich glaubte, es müssten viele sein.

Am Abend fragte Oma die Freunde, ob es wirklich stimme, dass ich jetzt schwimmen könne. Ich bekam Erdbeeren mit Schlagsahne und Badeerlaubnis für die Tonkuhle.

Im Sommer nach der Jugendweihe fuhr ich zum ersten Mal allein zu Großvater. Da lag er das zweite Jahr. Er bat mich, ihm ein Beil zu bringen oder einen Strick. Ich lief in den Hühnerstall und zitterte und erfüllte seine Bitte nicht. Nachmittags kam die Gemeindeschwester und spritzte Großvater. Ich musste ihr helfen, ihn auf den Eimer zu setzen. Als Großvater fertig war, kippte er mit dem Eimer um. Ich sah sein Geschlecht und die grauen Haare und ekelte mich. Ich würde nicht wiederkommen, bevor Großvater es nicht geschafft hatte, wusste ich.

Großvater schaffte es an dem Tag, als wir auf der Hochzeit meiner Schwester tanzten.

Ich hielt das Telegramm zurück.

Im Kreißsaal konnte ich durch die Glaswand sehen, wie die Frau neben mir ihr Kind gebar. Sie war einundzwanzig Jahre alt und wurde von der Hebamme gelobt. Sie hatte alles richtig gemacht. Ich war sechsundzwanzig und machte alles falsch.

In einer Wehenpause dachte ich daran, dass ich einmal beinahe ertrunken wäre. Ich hatte Angst, dass mein Kind in mir ertrinken könnte. Ich habe eine gesunde Tochter und neue Ängste.

Meine Eltern sind normale Menschen. Man kann ihnen nichts nachsagen.

Ich schreibe und bin in der Partei.

In der Siebenten schrieb ich meinen Namen unter den von Manfred Krause. Ich strich die gemeinsamen Buchstaben, um auszuzählen, ob uns Liebe, Treue, Sehnsucht oder Hass verbinden würden.

Manfred Krause nahm mir das Lesebuch weg. Wir prügelten uns, damit wir uns anfassen konnten.

Mit dem Gelöbnis zur Jugendweihe legte ich auch das ab, immer und ewig Ralf Karsten zu lieben. Ich sang seinen Namen durch alle Schlager und ging einen Sommer lang mit ihm baden.

Im Herbst kam Anke Schomann in unsere Klasse.

Später redete ich mit einem eine Nacht lang über Beethoven, Lenin, Freud und vorsichtig über uns. Danach lag ich lange wach in seinem Bett. Er lag lange wach auf dem Fußboden.

Ich dachte an Manfred Krause und dass es schade sei, dass man sich nicht mehr einfach ein Buch wegnehmen konnte, um sich dann prügeln und anfassen zu müssen. Er schenkte mir ein Buch.“

Erstmals 1990 veröffentlichte Sonja Voß-Scharfenberg im Verlag Neues Leben Berlin „Gegenwind. Geschichten“: Infolge der Amnestie ist er vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen worden. Aus Angst, wieder straffällig zu werden, weil seine Knastkumpel ihn bedrängen, weicht Helling ihnen aus, aber sie durchschauen ihn und lassen ihn nicht in Ruhe.

Nach langjähriger Ehe verliebt sich Phia in eine Frau. Der Skandal in der kleinen Stadt ist groß. Auch über den alten Liegfeldt, der Mülltonnen und Container nach verwendbaren Dingen durchsucht, rümpfen die Leute die Nase, vor allem solche, die meinen, in günstigere Windverhältnisse gestellt zu sein. Aber hier zunächst der Anfang einer anderen dieser Geschichten, in der von einer einsamen Frau erzählt wird:

Puppenspaß

Mit dem schmuddeligen Abwaschlappen wischt sie die Abendbrotkrümel vom abgenutzten Wachstuch. Sie brüht sich einen Kaffee. Nur schwach, wegen des Herzens. Im Fernsehen haben sie gesagt, Kaffee schadet nicht, aber die Leute sagen’s. Und denen im Fernsehen kann man nicht alles glauben. Besonders in der Politik nicht. Aber ihr ist das egal. Wenn bloß Frieden bleibt.

In der Zeitung steht jeden Tag was von Frieden. Sie liest es nicht. Es ist ihr zu lang, und es macht ihr angst. Sie liest das Fernsehprogramm und wer gestorben ist und natürlich die Heiratsannoncen.

Bei der Zeitung haben sie gesagt, es heiße Inserat, als sie so eine Annonce aufgeben wollte. Da hat sie sich nicht mehr getraut. Vielleicht geht sie mal zu einer anderen Zeitung und sagt es gleich richtig. Sie weiß ja jetzt, dass es Inserat heißt.

Sie mag gern Fremdwörter sagen, wenn sie weiß, was sie bedeuten. Aber Inserat mag sie nicht. Weil es so peinlich war. Bei der Zeitung.

Kann sein, dass sie noch einmal auf so eine Annonce antwortet. Mal sehen, wenn ein Behinderter jemanden sucht. Aber auch damit ist sie schon reingefallen.

Den Tag vergisst sie nicht, an dem sie aufgeregt zwei Stunden zu früh auf dem Bahnhof war.

Fünf Briefe waren zwischen ihr und Wolfgang Plettner hin- und hergegangen. Fast jedes zweite Wort ihrer Briefe hatte sie im Duden nachgesehen. Nur mit den Kommagesetzen ist sie nicht klargekommen. Alles, was hinten im Duden steht, ist ziemlich kompliziert und lateinisch, glaubt sie, ausgedrückt. Aber sonst ist der Duden ein gutes Buch.

Unter Inserat hat sie damals dort auch nachgelesen. Es steht, das ist eine Anzeige in der Zeitung. Das steht unter Annonce auch. Annonce hat sie lange nicht gefunden, wegen der zwei n. Sie hat schon gedacht, es steht nicht drin. Der Duden ist doch dazu da, um nachsehen zu können, wie ein Wort geschrieben wird. Wenn sie das vorher wissen muss, um es zu finden, braucht sie nicht mehr nachzusehen. Aber sonst ist der Duden ein gutes Buch.

Zwei Stunden war sie zu früh auf dem Bahnhof. Natürlich konnte sie nicht so lange stehen.

Nichts kann sie. Nicht einmal zwei Stunden lang stehen. Manchmal lässt sie das Rheuma gar nicht aus dem Bett. Und an ganz schlimmen Tagen schafft sie es kaum bis zur Toilette.

Natürlich hatte sie dem Wolfgang Plettner geschrieben, dass sie dick ist. Vollschlank, hatte sie geschrieben. Dabei ist sie viel dicker als vollschlank, aber wie drückt man das aus?

Ein Bild freilich hat sie nicht geschickt. Sie lässt sich nicht fotografieren. Es gibt kein Bild von ihr. Nicht einmal eins aus ihrer Kindheit. Mutter hat sie auch nie fotografieren lassen. Weil sie immer schon so dick war. So dick und so krank und so entsetzlich langsam.

Sie hatte sich auf eine Bank auf dem Bahnsteig gesetzt. Im nagelneuen Umstandskleid. Sie kauft immer in der Abteilung für Umstandssachen. Frau Westphal sagt ihr Bescheid, wenn etwas Billiges gekommen ist. Mit der Invalidenrente kann sie keine großen Sprünge machen.

In die Mitropa hatte sie sich nicht getraut. Wegen der Besoffenen. Es war abgemacht, sie würde an der Treppe stehen. Sie wusste nicht, was man sagt, wenn man sich kennenlernt. Sie würde seine Tasche nehmen, weil er die Hände brauchte für die beiden Krücken. Motorradunfall.“

Erstmals 2005 erschien in der Kulturstiftung Bernburg, veröffentlicht mit Unterstützung des Landes Sachsen-Anhalt, des Landkreises Bernburg und der Sparkasse Elbe-Saale, „Die kleine Residenz. Ein Lesebuch über Bernburg“ von Volker Ebersbach: Bernburg an der Saale war die erste und älteste unter den Residenzen der anhaltinischen Fürstentümer, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts Herzogtümer wurden. Heinrich I., Enkel Albrechts des Bären, ist als Minnesänger in der Manessischen Liederhandschrift vertreten. Till Eulenspiegel vollführte hier seine ersten Streiche. Dichter wie Ewald von Kleist, Goethe, Novalis, Eichendorff gedachten als Durchreisende der Stadt. Superintendent Friedrich Adolph Krummacher wurde als Fabeldichter bekannt. Der Hofmaler Wilhelm von Kügelgen schrieb die „Erinnerungen eines alten Mannes“. Napoleon wechselte 1813 auf dem Viehmarkt die Pferde. Bismarck wäre beinahe Erster Minister geworden. Der DDR-Stararchitekt Hermann Henselmann wuchs hier auf. Der Band versammelt Selbstzeugnisse und Dokumente der verschiedensten Persönlichkeiten aus der Geschichte dieser Stadt. Bevor es jedoch richtig losgeht, lesen wir zunächst eine …

Vorbetrachtung: Eine kleine deutsche Residenz

Über die deutsche Kleinstaaterei ist in den zurückliegenden zweihundert Jahren viel geklagt worden. Die politische Zersplitterung des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation brachte es mit sich, dass über ganz Deutschland verstreut große und kleine ehemalige Residenzstädte heranwuchsen. Die kleineren Residenzen haben manche Ähnlichkeit miteinander. Vor- und Nachteilen ihrer geografischen Lage und ihrer Verkehrsverbindungen, aber auch manchem Zufall verdanken sie es, dass sie meist erst im 18. und 19. Jahrhundert zu unterschiedlicher Bedeutung gelangten.

Spielerisch könnte man Bernburg als ein kleineres, ärmlicheres, schlecht weggekommenes Geschwisterchen neben Weimar stellen. Nicht nur, dass auch Weimar einmal von einem Askanier regiert wurde: Die Grafen von Orlamünde, die im 13. und 14. Jahrhundert, bis sie 1375 ausstarben, die Herrschaft über Weimar innehatten, waren Verwandte Albrechts des Bären gewesen wie übrigens auch Uta von Ballenstedt, die Gemahlin des Landgrafen Ekkehard von Thüringen, an dessen Seite sie unter den Statuen der Stifter im Westchor des Naumburger Doms steht.

Johannes Werner, Herausgeber von Werken und Briefen Wilhelm von Kügelgens und Wilhelmine Barduas, nannte im Geleitwort seines Buches „Die Schwestern Bardua“ Ballenstedt eine „kleine Residenz“. Dieselbe Bezeichnung trifft auf Bernburg zu. Weimar hatte kaum mehr Einwohner als Bernburg und lebte auch nicht eben üppig, als die früh verwitwete Mutter des Herzogs Carl August zuerst Wieland und dann Goethe in ihre kleine Residenz rief, der dann Herder und Schiller holte, an deren Fersen sich wieder andere Literaten hefteten, bis es kaum noch einen deutschen Schriftsteller gab, der nie in Weimar gewesen war. Man stelle sich einmal spielerisch vor: Fürst Friedrich Albrecht von Anhalt-Bernburg, 1735 geboren, wäre im richtigen Alter gewesen, um Anna Amalia von Braunschweig-Wolfenbüttel, geboren 1739, zu heiraten, die Nichte Friedrichs des II. von Preußen, die das Vorbild des Weimarer „Musenhofes“ aus Wolfenbüttel schon mitbrachte und damit zu verwirklichen begann, dass sie den Dichter Christoph Martin Wieland als Erzieher ihrer Söhne nach Weimar zog, der dann Goethe - … Wir brauchen nicht weiter zu spekulieren: Friedrich Albrecht war noch nicht Herzog, sondern nur Fürst und wäre für die Wolfenbütteler Prinzessin keine gute Partie gewesen. Zum Herzog wurde erst sein Sohn und Nachfolger Alexius Friedrich Christian 1806 durch Kaiser Franz II. in Wien erhoben. Das kostete Anhalt-Bernburg ein gutes Stück Geld. Aber Alexius war der letzte Fürst des im selben Jahr sich auflösenden Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation, der vom Kaiser in Wien zum Herzog erhoben wurde. Die Fürsten von Anhalt-Köthen und Anhalt-Dessau wurden dann Herzöge von Napoleons Gnaden.

Eine Verbindung zwischen den beiden kleinen Kleinstaaten Anhalt-Bernburg und Sachsen-Weimar kam aber doch zustande: Die Malerin Caroline Bardua (1781-1864), in Ballenstedt geboren und durch ihren Vater, den Kammerdiener Johann Adam Bardua (1740-1818), dem Hof sehr nahe aufgewachsen, lebte vom September 1805 bis zum Mai 1807 in Weimar und entwickelte das „mannichfaltige Talent“, das Goethe ihr bescheinigte, an der vom Dichter gegründeten Zeichenakademie bei dessen Freund und Kunstberater, dem aus der Schweiz stammenden „Kunscht-Meyer“, weiter, bevor sie in Dresden bei Gerhard von Kügelgen (1772-1820), dem Vater des anhalt-bernburgischen Hofmalers Wilhelm von Kügelgen (1802-1867), Unterricht nahm und dann in Berlin ihre Karriere forsetzte. Caroline Bardua porträtierte Goethe in ihrer Weimarer Zeit zweimal, gewann die Silbermedaille der Zeichenakademie und wurde der Herzoginmutter Anna Amalia vorgestellt. Johanna Schopenhauer schrieb am 7. November 1806 an ihren Sohn, den späteren Philosophen Arthur Schopenhauer, Mademoiselle Bardua sei ein Wunder an Talent: sie wird in kurzem die erste Malerin in Deutschland sein; dazu spielt sie das Klavier und singt in großer Vollkommenheit“ (zitiert nach: Charlotte Marlo Werner, Goethes Herzogin Anna Amalia, Düsseldorf 1996, S. 312).“

Schon auf den ersten Blick handelt es sich also um eine durchaus interessante kleine Residenz, die – und deren lange Geschichte – es durchaus Wert sind, etwas genauer unter die Lupe genommen zu werden. Genug Gelegenheiten dazu bietet dieses dicke Lesebuch über Bernburg, in dem sich en passant deutsche Geschichte und deutsche Kulturgeschichte spiegeln. Und auch in diesem Falle ist man nach der Lektüre eines Buches von Volker Ebersbach schlauer und wissender als vorher. Erinnern Sie sich noch an die Frage, was wohl Napoleon mit Bernburg zu tun gehabt hat? Am 13. Juli 1813 kamen der Kaiser und Teile seiner Truppen auf dem Marsch von Magdeburg nach Halle durch Bernburg. Und auf dem Bernburger Viehmarkt ließ Napoleon eilig seine Pferde wechseln.

Apropos Napoleon: Wissen Sie vielleicht auch noch, wie der später abgesetzte und ins politische Exil geflüchtete Chef der Neuen Farm der Tiere hieß? Na, wissen Sie Bescheid? Offenbar hatte da die Schweriner Autorin Sonja Voß-Scharfenberg auch so ihre Assoziationen.

Viel Spaß bei der Lektüre, weiter einen schönen Herbst und bleiben auch Sie weiter vor allem schön gesund und munter und lassen Sie sich auch von der wohl bald wieder verstärkt auftretenden Grippe nicht anstecken und bis demnächst.

Ach und da fällt uns noch eine kleine Anmerkung ein: In der „Farm der Tiere“ hat Napoleon auch einen Hofdichter. Gibt es dafür vielleicht ein reales Vorbild? Die Spur führt zu dem Italiener Vincenzo Monti (1754 bis 1828), der nur wenige Wochen nach der Krönung Napoleons zum König von Italien am 26. Mai 1805 zum Historiographen und Hofdichter ernannt worden war. So konnte er dann ganz offiziell Napoleons Politik verherrlichen.

Das Königreich Italien unter König Napoleon, der damit in Personalunion gleichzeitig Frankreich und Italien regierte, bestand übrigens nur bis 1814. Da befand sich Napoleon, der einzig seinen Kaisertitel behalten durfte, bereits in seinem ersten noch selbst gewählten Exil auf der Mittelmeerinsel Elba, wo er aber nicht bleiben sollte, um noch einmal in Weltpolitik einzugreifen. Bis dann sein endgültiges Waterloo kam. Aber das ist bereits eine andere Geschichte.

EDITION digital Pekrul & Sohn GbR

EDITION digital war vor 27 Jahren ursprünglich als Verlag für elektronische Publikationen gegründet worden. Inzwischen gibt der Verlag Krimis, historische Romane, Fantasy, Zeitzeugenberichte und Sachbücher (NVA-, DDR-Geschichte) sowie Kinderbücher gedruckt und als E-Book heraus. Ein weiterer Schwerpunkt sind Grafiken und Beschreibungen von historischen Handwerks- und Berufszeichen sowie Belletristik und Sachbücher über Mecklenburg-Vorpommern. Bücher ehemaliger DDR-Autoren werden als E-Book neu aufgelegt. Insgesamt umfasst das Verlagsangebot, das unter www.edition-digital.de nachzulesen ist, mehr als 1.200 Titel. E-Books sind barrierefrei und Bücher werden klimaneutral gedruckt.

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