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Stellungnahme zum Artikel "Der große Prostata-Irrtum" von Richard Ablin

Markus Graefen, Jürgen Gschwend, Peter Hammerer, Peter Albers für den Vorstand der AUO

(lifePR) (Berlin, )
New York Times, Süddeutsche Zeitung, März 2010

Vor wenigen Wochen wurde in der New York Times ein Kommentar mit dem Titel "Der große Prostatairrtum" publiziert. Dieser Artikel gibt die persönliche Meinung von Prof. Richard Ablin, Professor für Immunbiologie und Pathologie an der Universität von Arizona, zur Wertigkeit des Bluttests PSA zur Entdeckung des Prostatakrebses wieder. Prof. Ablin hat vor ca. 40 Jahren diesen Bluttest entwickelt.

Tenor des Kommentars ist, dass der Einsatz dieses Bluttests zur Früherkennung des Prostatakarzinoms mehr schadet als nutzt, da Prof. Ablin vermutet, dass viele der durch diesen Bluttest entdeckten Prostatakarzinome zu keiner Lebensbedrohung der betroffenen Männer führen wird. Er befürchtet, dass die zur Entdeckung des Krebses eingeleitete Diagnostik und Therapie die Lebensqualität der betroffenen Männer deutlich verschlechtert und der Test somit insgesamt mehr Nachteile als Vorteile hat.

Die Datenlage, auf die sich Prof. Ablin bezieht, beruht auf zwei Studien, welche den PSA-Wert zum sog. Screening eines Prostatakarzinoms eingesetzt haben. Beide Studien wurden bereits vor einem Jahr veröffentlicht und hatten zu diesem Zeitpunkt zu einer intensiven Diskussion in der Öffentlichkeit geführt. Die US-amerikanische Studie hatte nach etwas mehr als sechs Jahren keinen Unterschied in der Sterblichkeit am Prostatakarzinom durch regelmäßige PSA Messungen feststellen können. Eine zeitgleich veröffentlichte Studie aus Europa hingegen hatte eine Reduktion der Sterblichkeit am Prostatakarzinom neun Jahre nach Studienbeginn um 20 % beweisen können. Allerdings mussten in dieser Studie relativ viele behandelt werden, um einen Mann innerhalb dieser neun Jahre vor dem Prostatakrebstod zu bewahren.

Bei der Interpretation dieser Daten wird zumeist nicht berücksichtigt, dass es sich bei der amerikanischen Studie um Männer handelte, die häufig ihren PSA-Wert bereits vor Studieneinschluss kannten, d.h., die Männer mit hohem Wert und damit erhöhtem Risiko haben gar nicht an der Studie teilgenommen. Weiterhin wurde von mehr als der Hälfte der Männer, die eigentlich keinen PSA-Wert im Rahmen dieser Studie im Kontrollarm messen sollten, selbständig eine PSA-Wert Bestimmung durchgeführt. Der eigentliche Anspruch der Studie, nämlich die Sinnhaftigkeit eines Screenings durch PSA zu testen, wurde somit nicht erfüllt; es wurde vielmehr in einer sog. Niedrigrisikogruppe eine mehr oder weniger intensive PSA-Testung miteinander verglichen. Trotz dieser methodischen Probleme wird diese Studie leider immer wieder herangezogen, um den grundsätzlichen Einsatz des PSA-Wertes zu kritisieren.

In der zeitgleich veröffentlichten und methodisch besseren europäischen Studie zeigte sich ein Unterschied in der Prostatakrebssterblichkeit nach knapp neun Jahren von bereits 20 % zugunsten der Männer, die regelhaft PSA messen ließen. Auch in dieser Studie fanden sich Männer, die im Kontrollarm entgegen dem Studienprotokoll PSA-Messungen durchführen ließen. Vergleicht man nur die Männer miteinander, die sich gemäß dem Studienprotokoll verhielten, fand sich eine Reduktion der Sterblichkeit um 30%.

Kritisiert wird, dass zu viele Männer behandelt werden mussten, um einem Patienten den Prostatakrebstod innerhalb dieser neun Jahre zu ersparen. Fälschlicherweise wird aus dem englischen oft eine sog. Intention-to-treat Analyse wie sie hier vorliegt, so übersetzt und interpretiert dass alle diese Männer auch tatsächlich aktiv behandelt (z.B. operiert oder bestrahlt) wurden, bei denen durch PSA Messung ein Prostatakrebs gefunden wurde. Tatsächlich bedeutet dieses Vorgehen aber beispielsweise auch, dass bei früher Diagnose zunächst nur eine Überwachung des Tumors stattfand. So war z.B. die Gruppe der Männer, bei denen zunächst nach Entdeckung des Prostatakrebses ein abwartendes Verhalten aufgrund der frühen Diagnose empfohlen wurde, in der Screening-Gruppe doppelt so hoch wie in der Gruppe, in der der Prostatakrebs ohne regelhafte PSA-Testung entdeckt wurde.

Nicht jede Krebsdiagnose bedeutet Operation oder Bestrahlung. Die S3 Leitlinie zur Diagnostik und Therapie des Prostatakarzinoms aus dem Jahr 2009, die nach Publikation der o. g. Studien veröffentlicht wurde, betont die Möglichkeit des aktiven Überwachens als Alternative zur sofortigen Operation oder Bestrahlung bei Patienten mit einem vermeintlich ungefährlichen Krebs. Diese Strategie allein wird die Rate der sogenannt unnötig operierten oder bestrahlten Patienten wesentlich verringern und damit die Wertigkeit der PSA Früherkennung steigern.

Problematisch bei der Interpretation beider Studien bleibt auch, dass die Daten viel zu früh veröffentlicht wurden. Eine solche Studie ist wegen des langsamen Wachstums PSA-entdeckter Tumore auf mindestens 10, eher 20 - 30 Jahre ausgelegt, um den wahren Nutzen einer PSA-Früherkennung zu bewerten.

In Kenntnis dieser Daten hat die Deutsche Gesellschaft für Urologie in ihrer aktuellen S3-Leitlinie vom September 2009 zwar ein generelles Screening mittels PSA-Wertes nicht unterstützt, die Wertigkeit des PSA zur Früherkennung des Prostatakarzinoms jedoch betont. Die Einführung dieses Blutwertes hat eine deutliche Verbesserung bei der Früherkennung gebracht. War es vor 20 Jahren zumeist noch so, dass ein Patient erst durch Symptome aufgrund von Metastasen oder durch Tumoren auffiel, die bereits eine Größe hatten, die mit dem Finger ertastet werden konnten, werden heute die Tumoren zumeist in einem auf das Organ begrenzten Stadium erkannt. Nicht organbegrenzten Tumore können wir auch heutzutage nicht heilen, nur den Krankheitsverlauf verzögern, organbegrenzte Tumoren hingegen - bei rechtzeitiger Diagnose - werden zum größten Teil langfristig geheilt. PSA ist hier ohne jeden Zweifel der wichtigste Marker für die Früherkennung des Prostatakarzinoms.

Die von Prof. Ablin angesprochenen Störfaktoren wie Entzündung der Prostata oder Manipulation sind seit langem bekannt und werden im urologischen Alltag selbstverständlich berücksichtigt. So empfehlen die Leitlinien der Urologen, dass eine PSA-Erhöhung nur nach erneuter Kontrolle und Bestätigung dieser Erhöhung zu einer Diagnostik führt. Die sofortige Einleitung einer weiteren Diagnostik bei einem einmalig erhöhten PSA-Wert wird somit nicht empfohlen.

Wichtigstes Kriterium zum Einsatz des PSA-Wertes ist ein differenzierter Umgang. Je älter ein Mann ist, desto eher ist man zurückhaltend mit der PSA-Testung, da langsam wachsende Tumoren diesen Mann wahrscheinlich nicht bedrohen. Je jünger ein Mann ist, desto eher ist dieser bei Vorliegen eines Prostatakrebses in seiner Lebenserwartung bedroht. Neben dem Alter wird deshalb weiterhin auch empfohlen, dass man die Dynamik des PSA-Wertes berücksichtigt, um eine weitere Diagnostik zu veranlassen.

Männer, die für eine Früherkennung in Frage kommen und auch hiernach fragen, sollten von ihren betreuenden Ärzten über die Ergebnisse der o. g. Screening-Studien informiert werden. Wichtig ist eine ausgewogene Aufklärung über die Möglichkeiten (Vermeidung von Prostatakarzinomtodesfällen und die Probleme der Diagnose von Fällen ohne klinische Bedeutung, mögliche Nebenwirkungen der Therapie des Prostatakarzinom-Screening). Nicht vergessen werden sollte hierbei, dass es nicht nur darum geht, den Prostatakrebstod an sich zu vermeiden, sondern auch eine längeres, häufig dem Tod vorausgehende Siechtum der Patienten.

Auch für Deutschland ist bereits ein Effekt der Einführung des PSA-Tests erkennbar. So zeigte eine aktuelle Publikation des Robert-Koch-Institutes, dass die alters-entsprechende Sterblichkeitsrate bei Prostatakarzinom im Vergleich zu 1980 um 20 % abgenommen hat. Als wichtigster Faktor hierfür wird der Einsatz des PSA-Wertes zur Früherkennung eines Prostatakarzinoms angesehen.
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