Wenn am Donnerstag der EZB-Rat zusammentritt und seine neuen Projektionen vorstellt, ergibt sich für die aktuellen Wachstumsprognosen von 1,4 %, 1,9 % und 2,0 % für die Jahre 2015 – 2017 kaum Änderungsbedarf. Die monetären Indikatoren haben im Juli ihren Anstieg fortgesetzt. Die für Verbraucher schnell verfügbare bargeldnahe Geldmenge M1 ist seit Anfang 2013 im Euroraum um über 22 % angestiegen. Die Kreditvergabe wächst zwar langsam aber stetig. Die Stimmungsindikatoren sind auf einem stabilen Niveau. Die Arbeitslosigkeit im Euroraum ist erstmals seit Februar 2012 unter die Elf-Prozent-Marke gesunken. Mehr Änderungspotenzial gibt es hingegen bei den Inflationsprojektionen. Diese dürften ölpreisbedingt von zuletzt 0,3 % (für 2015), 1,5 % (2016) und 1,8 % (2017) zumindest für dieses Jahr nach unten korrigiert werden. Auf den längerfristigen Inflationsausblick sollte der aktuelle Ölpreisrückgang jedoch keinen Einfluss haben.
Wie sich die EZB zu dem flacher verlaufenden Anstieg der Teuerung im Euroraum stellt, hat für die Finanzmärkte große Bedeutung: Eine Ausweitung des Ankaufprogramms von Anleihen würde noch mehr Liquidität an die Finanzmärkte spülen. In der Tat ist mit dem akzentuierten Ölpreisrückgang in Bereiche um zeitweilig 40 US-Dollar pro Fass ein erneuter Rückgang der Euro-Teuerung in den negativen Bereich wieder ins Blickfeld gerückt und hat den Druck auf die Notenbank erhöht. Nach jüngsten Äußerungen von EZB-Ratsmitgliedern ist sogar eine Ausweitung des Ankaufvolumens von derzeit monatlich 60 Mrd. Euro eine ernstzunehmende Option. Ob auch das Thema Zinssenkung auf den Tisch kommt, darf bezweifelt werden, würde dies doch den herrschenden Anlagenotstand verschlimmern und damit eine Gefahr für die Stabilität der Finanzmärkte darstellen.
Für EZB-Chef Mario Draghi, der sich zuletzt mit Kommentaren zurückgehalten hat, stellt sich im Vorfeld der vielbeachteten EZB-Pressekonferenz die Frage, wie er mit der Situation umgehen soll. Er kann in die gleiche Kerbe hauen wie EZB-Chefvolkswirt Peter Praet, der sagte: „Es sollte keine Unklarheit über die Bereitschaft und die Fähigkeit des EZB-Rats geben, falls nötig zu handeln". Bleibt zu klären, wem diese Warnung gilt. Zumal die EZB auf die derzeit kritischen Faktoren wie Ölpreis und chinesisches Wirtschaftswachstum keinen Einfluss nehmen kann. Besser wäre es u. E., angesichts der offensichtlichen Machtlosigkeit gegenüber diesen externen Einflüssen, einen moderaten Ton anzuschlagen und zu betonen, dass die Geldpolitik nicht auf jede Entwicklung reagieren muss. Er könnte, um die Erwartungshaltung einiger Anleger diesbezüglich zu dämpfen, auf die jüngsten Inflationsdaten verweisen. So verharrte die Jahresteuerung in der Eurozone im August nach erster Schätzung von Eurostat bei 0,2 % – erwartet wurde ein niedrigerer Wert. Die Kernrate ohne die volatilen Energiepreise hat sich den zweiten Monat in Folge bei 1,0 % behauptet. Der Anstieg der Güterpreise hat sich gleichzeitig auf 0,6 % beschleunigt. Im Frühjahr lag die Jahresrate noch bei 0,0 %. Die Dienstleistungspreise sind ohnehin recht robust und schwanken seit über einem Jahr in einem relativ engen Band von 1,0 % bis 1,3 %.
Wenn die EZB ihren ruhigen Kurs fortsetzt und durchblicken lässt, dass die Geldpolitik nicht schon wieder an einer großen Stellschraube drehen will, hätte dies durchaus Vorteile. Wieviel brächte es für die Inflationserwartungen, das Ankaufprogramm auf 70 Mrd. oder gar 80 Mrd. Euro monatlich auszuweiten? Andererseits besitzt die EZB mit dem QE-Programm ein sehr flexibles Instrument, an dem auch ohne große Ankündigungen ständig Änderungen vorgenommen werden können. Dies hat u.a. die selektive Ausweitung von QE auf Anleihen staatsnaher Unternehmen aus dem Infrastrukturbereich gezeigt. Allerdings haben diese Anpassungen eher technischen Charakter, um die angepeilten Ankaufziele zu erreichen. Denkbar wäre in diesem Zusammenhang die Ankaufbegrenzung von 25 % bei Emissionen flexibler zu gestalten bzw. leicht auszuweiten.
Ein Vorschlag aus Frankreich
Es gibt aber noch ein weiteres Thema, welches in der Pressekonferenz eine Rolle spielen wird: Der Vorschlag des französischen EZB-Direktoriumsmitglieds Benoît Coeuré ein europäisches Finanzministerium zu schaffen. Flankiert vom französischen Wirtschaftsminister, der eine stärkere Ausrichtung der Eurozone als Transferunion fordert, wird im Anschluss an das Griechenland-Drama die Diskussion über strukturelle Änderungen angeheizt. Allerdings fallen die Meinungen und Vorschläge diesbezüglich europaweit sehr unterschiedlich aus. Besonders die Anleger am deutschen Rentenmarkt werden das Thema Transferunion weiterhin mit Argusaugen verfolgen.