Vier Bedingungen, die wir auf dem Weg hin zu einer politischen Vertretung von Tieren als wichtig erachten.
Kurzfassung (pdf)
Kurzfassung (Audio)
Langfassung(pdf)
Langfassung (Audio)
Politische Vertretung ist generell ein schwieriges Unterfangen, nicht nur im Fall von Tieren.
Es geht bei der Vertretung darum, Gruppen und Individuen an der politischen Entscheidungsfindung über Stellvertreter*inne und Beauftragte teilhaben zu lassen. Aber was genau repräsentiert wird (“wer ist das Volk, und was sind “seine” Interessen?”) und wer gesellschaftliche Belange vertritt (“nur Abgeordnete oder auch Staatsbeamte?”) - solche Fragen werden unterschiedlich beantwortet.
Es ist Teil der Entwicklung der Demokratie, dass Repräsentation ein offenes Konzept bleibt, welches sich an wandelnde gesellschaftliche Erwartungen und Machtkonstellationen anpasst. Zentral für politische Repräsentation war aber immer die Idee, dass diejenigen vertreten werden sollten, die durch Entscheidungen betroffen sind.
Bereits seit einiger Zeit weisen Vertreter*innen der politischen Theorie darauf hin, dass das auch für nicht-menschliche Tiere gilt.
Wir wissen, dass Tiere (abhängig von der Art) fühlen, wahrnehmen und sogar denken und Entscheidungen treffen können. Es ist weitgehend anerkannt, dass Tiere von politischen Entscheidungen regelmäßig betroffen sind. Das belegt eine Umfrage, die von Animal Society für Deutschland in Auftrag gegeben wurde. Das EU-Recht erkennt offiziell an, dass Tiere fühlende Wesen sind und erteilt der Gesetzgebung das Mandat, “das Wohl der Tiere in vollem Umfang zu berücksichtigen”. Nach deutschem Recht sind Tiere explizit “keine Sachen”. Im Bereich politischer Vertretung müssen Staaten also nur das deutlich machen und effektiv umsetzen, was im Recht bereits gilt:
Dass Tiere um ihrer selbst willen zählen sollten, unabhängig von menschlichen Interessen.
Der Einsatz von NGOs und Verbänden für die Belange von Tieren kann dann eine Form politischer Vertretung sein, wenn er das bestmögliche Ergebnis für Tiere anstrebt. Die bloße Behauptung, dass “Tierwohl berücksichtigt wurde”, reicht dagegen nicht aus, um als adäquate Vertretung zu gelten. Ein erster Schritt hin zu mehr Klarheit wäre, dass diejenigen, die in Anspruch nehmen, politisch für Tiere zu sprechen, ihre Rolle und Aufgaben in dieser Funktion erklären. Idealerweise sollten diese dann vom Staat und der Öffentlichkeit auch anerkannt werden. Wenn zivilgesellschaftliche Vereine öffentlich als Repräsentanten anerkannt sind, verleiht es ihren Äußerungen mehr politisches Gewicht. Auch jenen Forderungen, die unangenehme Folgen für die Bevölkerung haben könnten. Nicht alle Tierschutzgruppen werden sich wohl als politische Vertretung der Tiere bezeichnen.
Zum Beispiel könnten sich einige auf die Fürsorge von Tieren in Tierheimen konzentrieren. Außerdem ermöglicht die Erklärung von Akteur*innen, Rollen und Aufgaben der Vertretung Transparenz. Nur wenn die Öffentlichkeit weiß, wer für welche Gruppen von Tieren spricht, können mögliche Lücken der Repräsentation geschlossen werden, zum Beispiel hinsichtlich der Nutzungsbereiche von Tieren oder unterschiedlichen Arten.
Wir fordern Entscheidungsträger*innen auf, den zivilgesellschaftlichen Einsatz für Tiere als integralen Bestandteil politischer Repräsentation anzuerkennen.
Politik besteht aus Kompromissen, Ziel ist das öffentliche Gut, nicht Partikularinteressen. Nicht nur Vertreter*innen der politischen Gemeinschaft, sondern auch die Vertretung der Tiere müssen, wenn notwendig, den Ausgleich mit menschlichen Interessen an der Tiernutzung anstreben. Wie im Fall von Menschenrechten gibt es Ansprüche, die nicht verhandelbar sind, und auch für Tiere mag es einmal unverhandelbare Rechte geben. Doch wie die Geschichte der Menschenrechte zeigt, müssen selbst diese in formalen Prozessen verhandelt werden und dafür ist zunächst das Recht auf politische Vertretung entscheidend. Denn nur wer mit am Verhandlungstisch sitzt, wird auch Gehör finden.
Bevor es zu Kompromissen kommt, sollte zunächst feststehen, was aus Sicht der Tiere ein ideales Ergebnis wäre. Bereits an dieser Stelle gibt es das Risiko, dass menschliche Interessen, zum Beispiel an der Tiernutzung, den Prozess der Artikulation dieser Ergebnisse beeinflussen.
Die “tierschutzgerechte Schlachtung” ist beispielsweise ein Begriff, bei dem die Perspektive der Tiere mit der Nutzung von Tieren verwischt wird.
Die Praxis politischer Vertretung umfasst zwei unterschiedliche Prozesse: Die Artikulation von Interessen der Tiere auf der einen und die Abwägung von Interessen im Fall von Konflikten auf der anderen Seite. Bei der Artikulation von Interessen muss von menschlichen Bedürfnissen zunächst noch strikt abgesehen werden. Bei der Abwägung muss deutlich werden, welche vitalen Interessen betroffen sind, und welche normativen Grundlagen die Abwägung prägen.
Wir ermutigen staatliche Organisationen und die Zivilgesellschaft, sich auf eine Liste mit Interessen aus Sicht der Tiere zu einigen, die als Richtschnur für politische Entscheidungen dienen kann.
Das Verhalten von Tieren und ihre bewussten Wahrnehmungen sind manchmal schwer zu interpretieren.
Tierliche Interessen können sich ändern und sich manchmal widersprechen. Diese Herausforderung macht es nötig, besonders transparent über die getroffenen Urteile und offen für Kritik zu sein. Wir können keine Antworten auf die Frage des Gefühlslebens oder der Gedanken von Tieren erwarten, die keine Zweifel zulassen. Aber wir können nach der besten Erklärung suchen, warum Tiere sich in der Weise verhalten wie sie es tun, und was uns das über ihre bewussten Wahrnehmungen verrät.
Transparent und offen für Kritik zu sein ist auch für die Interpretation der besten politischen Strategie aus Sicht der Tiere wichtig. Heute verfolgen zivilgesellschaftliche Organisationen unterschiedliche Erfolgsstrategien. Zum Beispiel die Unterteilung in die “Tierrechts”- und in die “Tierschutz”-Bewegung, wobei erstere den klassischen Tierschutz aus Sicht der Tiere für zu wenig ambitioniert und zu kompromissorientiert befindet. Wenn diese Organisationen in den Entscheidungsprozess involviert werden, muss die Öffentlichkeit nachvollziehen können, welche Organisationen gehört wurden, und aus welchem Grund. Transparenz ermöglicht es, Übersicht zu behalten, z.B. indem deliberative Prozesse zugänglich gemacht werden. Das wiederum ermöglicht kritische Beurteilungen der richtigen Balance, z.B. bei der Beteiligung von Tierschutz- und Tierrechtsorganisationen.
Ein dritter Bereich bei dem Transparenz wichtig ist, sind ethischen Normen und Voraussetzungen die Entscheidungen beeinflussen. Öffentliche Meinungen über den richtigen Umgang und unser Verhältnis mit Tieren ändert sich. Es ist wahrscheinlich dass Politiker*innen die ethische Grundlage ihrer Entscheidungen ebenso ändern. Ein Bezugssystem zentraler Normen müsste geschaffen werden, dass es der Öffentlichkeit leicht macht die Ethik hinter der Politik zu erkennen und zu vergleichen. Vertretung erfordert keine gleiche Behandlung von Menschen und Tieren. Es erfordert zumindest Klarheit darüber, wie Entscheidungsträger*innen Ungleichheit legitimieren.
Transparenz ist nötig, um der Politik eine Übersicht zu ermöglichen, z.B. indem Entscheidungsprozesse auf allen Ebenen nachvollziehbar für die Öffentlichkeit gemacht werden.
Wir fordern die Politik auf, transparent darzulegen, wie die Perspektive von Tieren in Entscheidungen berücksichtigt wird.
Über die offizielle Anerkennung von NGOs hinaus sind neue staatliche Organisationen erforderlich. Innovative Ideen für die Vertretung von Gruppen, die nicht wählen können, finden sich heute bereits im Bereich der Vertretung zukünftiger Generationen und Kinder.
Zunächst besteht aber auch die Möglichkeit, die Vertretung von Tieren in bestehende Institutionen zu integrieren. Das wird unter dem Stichwort “Animal Mainstreaming” diskutiert. Die Geschlechterpolitik wurde mit der Maßnahme des “Gender Mainstreaming” vorangebracht. Sie sieht vor, dass die Interessen sowohl von Männern als auch von Frauen in öffentlichen Belangen gleichermaßen berücksichtigt werden. Analog wird als Animal Mainstreaming gefordert, dass die Ansprüche von Tieren in allen Bereichen des öffentlichen Lebens und in der Politik, auch zum Beispiel in der Finanzpolitik oder im Sport, berücksichtigt werden.
Die Berücksichtigung der tierlichen Perspektive in bestehenden politischen Institutionen ist wichtig, reicht aber alleine noch nicht aus, um eine angemessene Vertretung zu ermöglichen. Denn anders als beim Gender Mainstreaming ist oftmals unklar, welche Forderungen sich aus Sicht der Tiere eigentlich ergeben, z.B. weil eine gleiche Behandlung von Menschen und Tieren in vielen Aspekten unmöglich ist. Kompromisse in Parlamenten
oder Ministerien müssen sich am bestmöglichen Ergebnis für Tiere, d.h. an den Forderungen ihrer Vertreter*innen, messen lassen. Nur so lassen sich angemessene und unangemessene “Berücksichtigungen”, sowie gute und schlechte Kompromisse, voneinander unterscheiden.
Daher ist eine eigene Institution notwendig, die die Perspektive der Tiere ermittelt und vertritt. Erst mit einer solchen Institution kann die Idee des Animal Mainstreaming ihr volles Potential entfalten.
Wir fordern die Politik auf, neue staatliche Institutionen zu schaffen, die die Perspektive der Tiere in die repräsentative Demokratie einbringt.