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Brasilien: Ernüchterung, aber kein Kater

(lifePR) (Frankfurt am Main, )
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- Das Bruttoinlandsprodukt in Brasilien wächst seit 2011 wesentlich schwächer, auch wegen nachlassender Rohstoffexporte

- Die Notenbank senkte daraufhin den Leitzins sukzessiv von 12,5 % auf 8 %, der Real schwächte sich beträchtlich ab

- Auch die Regierung versucht durch Infrastrukturmaßnahmen, insbesondere für die anste-hende Fußballweltmeisterschaft 2014 und die Olympischen Spiele 2016, das Wachstum anzukurbeln und sollte damit 2013 Erfolg haben

Nicht einmal am Amazonas wachsen die Bäume in den Himmel. Nach dem Boomjahr 2010 mit einen Wachstum von 7,6 % muss sich Brasilien an eine Normalisierung bzw. Verlangsamung der Konjunktur gewöhnen. 2011 wuchs das Bruttoinlandprodukt (BIP) nur noch 2,7 %. Das erste Quartal 2012 wies eine noch stärkere Abschwächung auf nur 0,7 % gegenüber Vorjahr auf. Die sechstgrößte Volkswirtschaft der Welt wird zunehmend mit Skepsis betrachtet. Viele stellen schon in Frage, ob der Buchstabe "B" der Abkürzung BRIC überhaupt noch sinnvoll ist. Aber sieht die Lage wirklich so schlecht aus?

Der Anstieg der Rohstoffpreise ist sicherlich ein wichtiger Hebel für die brasilianische Konjunk-tur. Die stärkere Nachfrage nach Erdöl, Erzen und anderen natürlichen Ressourcen hat Unterneh-men wie Petrobras (Erdöl) und Vale (Bergbau) zu Börsenstars gemacht. Mehr als die Hälfte der Börsenkapitalisierung des Bovespa, des brasilianischen Aktienindex, besteht aus Bergbau-, Öl- und Stahlaktien. Absolut bilden Rohstoffe ungefähr die Hälfte der Exporte Brasiliens. Wichtigstes Exportprodukt ist Eisenerz, gefolgt von Erdöl. Gesamtwirtschaftlich ist die Bedeutung dieser Wa-ren deutlich geringer. Rohstoffexporte tragen gerade einmal 5 % zum BIP bei. Der Agrarsektor und der Bergbau machen zusammen knapp 10 % der Bruttowertschöpfung aus. Den dritten Platz als Exportware übernehmen mit rund 10 % des Gesamtwertes schon Transportgüter. Größter Han-delspartner ist China, von dessen Rohstoffhunger Brasilien profitiert. Es folgen USA und Argenti-nien, als Nachbarland größter Absatzmarkt für brasilianische Autos.

Die Rohstoffnachfrage fällt zurzeit, die schwächere Konjunktur sowohl in der Eurozone als auch in den USA und China macht sich bemerkbar. Mittlerweile schrumpfen die gesamten brasiliani-schen Exporte gegenüber dem Vorjahr. Ähnlich rückläufige Importe begrenzen aber die negativen Impulse vom Außenhandel. In Brasilien wachsen derweil die Sorgen, ob die Nachfrage aus China dauerhaft nachlässt. Die Nahrungsmittelpreise sind dagegen zuletzt gestiegen, insbesondere für Sojabohnen, dem viertwichtigsten Exportprodukt des Landes.

Mit einem Anteil von rund 60 % am BIP spielt der private Konsum eine gewichtige Rolle. Die Regierung hatte mit der Förderung von Kleinkrediten die Verbraucherausgaben anzukurbeln ver-sucht, und zwar mit Erfolg, denn 2011 ist der Konsum um 4,1 % gewachsen. Die Einzelhandels-umsätze zeigten 2012 eine volatile Aufwärtsbewegung, im Juni stiegen diese unerwartet auf 9,5 % gegenüber Vorjahr. Die Fahrzeugverkäufe erhöhten sich im Juni drastisch, wohl auch durch Steu-ervergünstigungen ausgelöst. Dies deutet darauf hin, dass sich der private Konsum im Verlauf von 2012 beschleunigt. Der Arbeitsmarkt bleibt robust, die Arbeitslosenquote sinkt seit 2003, dieses Jahr liegt sie im Durchschnitt unter 6 %. Die Beschäftigung wächst stetig. Andererseits ist die private Verschuldung deutlich gestiegen, von 25 % im Jahr 2003 auf über 50 % gemessen am BIP. Diese hohe Kreditvergabe birgt das Risiko größerer Zahlungsausfälle. Dann könnten die Banken ihre Kreditvergabe deutlich drosseln. Allerdings ist das Verschuldungsniveau im Vergleich zu anderen Schwellenländern noch durchschnittlich.

Die Unternehmensinvestitionen enttäuschten in den letzten Quartalen. Auch die Industrieprodukti-on befindet sich seit Anfang 2010 auf einem Abwärtstrend. Das Exportwachstum hat nachgelas-sen, die Wettbewerbsfähigkeit der brasilianischen Industrie hat sich auch wegen der langfristigen Währungsaufwertung verschlechtert. Im August 2011 führte die Regierung ein Förderprogramm zur Stärkung der Industrie namens "Brasil Maior" (= größeres Brasilien) ein. Ziele sind die Erhö-hung der Anlageinvestitionen von 19,5 % des BIP 2010 auf 23 % bis 2014 - in asiatischen Schwellenländern liegt die Quote eher um 30 % -, der Anstieg der privaten Ausgaben für Wissen-schaft und Technologie sowie die Vergrößerung des Anteils der Industrie am BIP. Diese sollen durch Förderkredite der nationalen Entwicklungsbank BNDES erfolgen. Im ersten Quartal 2012 zeigten die Investitionen mit -2 % gegenüber Vorjahr noch ein negatives Bild. Die Stimmungsin-dikatoren der Unternehmen stabilisieren sich inzwischen jedoch, folglich sollten die Investitionen langsam einen Boden bilden.

Zahlreiche Großprojekte sind in Sicht. Das größte ist die Exploration des unlängst gefundenen riesigen Offshore-Erdölvorkommens (Pré-Sal) in der Nähe von Rio de Janeiro. Als Hoffnung für eine infrastrukturelle Verbesserung positionieren sich die beiden anstehenden Sportereignisse: die Fußballweltmeisterschaft 2014 und die Olympischen Spiele 2016. Gut 50 Milliarden Euro sollen diese insgesamt kosten. Dies entspricht ungefähr 3 % des BIP. Mehr als die Hälfte der Investitionen soll dem Verkehr zu Gute kommen, denn die vernachlässigte Infrastruktur im Land ist die größte Sorge. Der Warentransport ist nämlich langsam und teuer. Mitte August verkündete Präsi-dentin Dilma Rousseff ein 66-Milliarden-Dollar-Paket, um diese zu modernisieren. Es ist geplant, Konzessionen für den Bau und Betrieb von bis zu 10.000 Kilometer Schienen und knapp 7.500 Kilometer Straßen an Privatinvestoren zu vergeben. Das Programm soll um Flughäfen und Häfen erweitert werden. Damit verlässt die seit Anfang 2011 amtierende Präsidentin Brasiliens den Kurs ihrer bisherigen Wirtschaftspolitik. Bislang spielte wie unter ihrem Vorgänger Luis Inácio Lula da Silva der Staat die Hauptrolle als Investor.

Allerdings liegen die eigentlichen Probleme Brasiliens woanders: Das Land hat mit Bürokratie, hoher Steuerbelastung und Korruption zu kämpfen. Diese Hindernisse machen es für Unternehmen schwer, im Land zu investieren. Die meisten Investitionen werden wegen bürokratischer und juris-tischer Hemmnisse gestoppt oder gar nicht umgesetzt. Rousseff selbst musste zahlreiche Minister ihres Kabinetts aufgrund von Korruptionsvorwürfen entlassen. Dieses harte Vorgehen gegen Kor-ruption gilt als eine ihrer Stärken. Der neue Kurs in Richtung Privatinvestoren ist auch ein Indiz dafür, dass es gute Gründe gibt, weshalb auf rein staatliche Investitionen erst einmal verzichtet wird.

Das Haushaltsdefizit 2011 betrug 2,6 % des BIP, blieb damit wie in den letzten Jahren unterhalb von 3 %. Allerdings könnte sich dieser Fehlbetrag erhöhen, wenn eine große Anzahl an Maßnah-men zur Stärkung der Wirtschaft von der Regierung durchgeführt wird. Die Staatsverschuldung lag 2011 bei knapp 54 % des BIP. Im Vergleich zu vielen Industrieländern ist diese eher niedrig, im Vergleich zu vielen Schwellenländer dagegen hoch. Die Nettoverschuldung allerdings ist seit dem Aufbau von größeren Devisenreserven geschrumpft, seit 2002 ist diese in einem klaren Ab-wärtstrend.

Auch die brasilianische Notenbank versucht das Wachstum anzukurbeln. Sie begann August 2011 mit einer Lockerung der Geldpolitik, indem sie den Leitzins Selic von ehemals 12,5 % auf ein Rekordtief von 8 % im Juli setzte. Im Jahresverlauf dürften noch weitere Schritte folgen. Erst 2013 werden wieder Erhöhungen erwartet. Zudem will die Regierung auch Druck ausüben, dass die privaten Banken ihre Zinsen senken und die Kreditvergabe erweitern. Die staatlichen Banken, die den Großteil bilden, sind dazu verpflichtet. Außerdem reduzieren die niedrigen Leitzinsen als positiven Nebeneffekt auch die Zinsausgaben der öffentlichen Hand. Die Zinssenkungen lassen den Außenwert des Real sinken. Dies ist politisch gewünscht und stellt eine Reaktion auf den starken Zuwachs des Imports im Jahr 2011 dar. Damit sollen die Wettbewerbsfähigkeit der Ex-portwirtschaft verbessert und Wachstumsimpulse generiert werden. Die Abwertung birgt aber die Gefahr, dass die Inflation spürbar steigen könnte. Diese erhöhte sich zuletzt zum ersten Mal seit September 2011 und zwar auf 5,2 % gegenüber Vorjahr.

Insgesamt sollten die massiven Stützungsmaßnahmen des Staates Erfolg haben, die ersten positi-veren Daten deuten dies an. Das brasilianische Bruttoinlandsprodukt dürfte 2012 zwar nur um knapp 2 % expandieren. Im kommenden Jahr wird sich, wenn auch von der Weltwirtschaft wieder mehr Rückenwind kommt, jedoch das Wachstum vermutlich auf rund 3,5 % beschleunigen. An die rosigen Zeiten vor der Finanzkrise wird Brasilien wohl vorerst nicht mehr anknüpfen können. Dies gilt aber mehr oder weniger auch für die anderen BRIC-Staaten, was wiederum das Potenzial für den brasilianischen Export dämpft. Gerade angesichts der nachlassenden BRIC-Euphorie passt Brasilien jedoch durchaus noch in diesen "Club". Die Stimulierungsmaßnahmen könnten die Infla-tionsgefahren für 2013 erhöhen. Nach vermutlich gut 5 % 2012 dürfte die Teuerung im kommen-den Jahr zumindest etwas ansteigen.

Trotz der Probleme Brasiliens gibt es auch beruhigende Faktoren. Der große Schatz an Devisenre-serven von zuletzt 367 Mrd. US-Dollar geben dem lateinamerikanischen Land einen Puffer und auch Spielraum angesichts der Krisen anderer Länder und Regionen, beispielsweise der Eurozone, ebenso wie bei der Verteidigung der Währung. Die Bruttoauslandsverschuldung stieg seit 2006 auf 300 Mrd. US-Dollar Anfang dieses Jahres, die Nettoauslandsverschuldung dafür hat sich stetig abwärts bewegt. Mittlerweile liegt sie mit 86 Mrd. US-Dollar im negativen Terrain, d.h. das Land ist Nettogläubiger. Die Leistungsbilanz Brasiliens zeigt hingegen einen Abwärtstrend, seit 2008 verharrt diese im Minus-Bereich, 2011 bei 2,1 % des BIP. Trotz der negativen Tendenz ist die Lage aber nicht zu kritisch zu sehen, schließlich lag der Saldo 2001 sogar bei Werten zwischen
-4 % und -5 %. Außerdem bietet ein stark reguliertes und gut kapitalisiertes Bankensystem, eine der positiven Folgen der großen Inflationskrise der 90er Jahre, Sicherheit.

Während in Brasilien die Aktien unter den nachlassenden Rohstoffpreisen leiden, sind brasiliani-sche Staatsanleihen stark gefragt. Seit 2008 wird das Land von den Ratingagenturen als investiti-onswürdiger Schuldner (investment grade) eingestuft. Die brasilianischen Staatsanleihen gelten am Markt inzwischen als sicherer als italienische oder spanische Papiere. Dies ist die positive Seite der europäischen Verschuldungskrise für die Brasilianer. Anleger weichen von europäischen Kri-senländern auf Emerging Markets aus, in Brasilien besonders auf Anleihen, die in US-Dollar no-tieren. So fielen die Renditen zehnjähriger US-Dollar-Bonds allein im Juli 2012 um mehr als 50 Basispunkte bis auf 2,75 % - der stärkste Rückgang seit 2009.

Der Brasilianische Real hat dieses Jahr nicht nur gegenüber dem US-Dollar, sondern selbst gegen-über dem Euro an Wert verloren. Der US-Dollar-Real-Kurs stieg von seinem langjährigen Tief im Juli 2011 von 1,53 bis auf 2,11. Die Ursachen liegen vor allem in den aggressiven Leitzinssenkun-gen, die Folgen der spürbaren Konjunktureintrübung waren. Auch rückläufige Rohstoffnotierun-gen bzw. phasenweise eine wachsende Risikoaversion belasteten den Real. Trotz der Kursverluste in den letzten zwölf Monaten ist der Real aus langfristiger Betrachtung noch eher über- denn unterbewertet. Aufgrund der Inflationsrisiken ist das politische Interesse an einer sich fortsetzenden Abwertung derzeit wenig ausgeprägt. Die Notenbank dürfte im Zweifelsfall durch Deviseninter-ventionen den Wechselkurs stabil halten, der Dollar-Real-Kurs daher weiter um 2,0 schwanken. 2013 könnte der Real im Zuge eines geldpolitischen Kurswechsels gegenüber dem US-Dollar leicht aufwerten, wenngleich auch hier die Bäume nicht in den Himmel wachsen. Gegenüber dem Euro besteht weniger Potenzial.
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