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Wenn Forscher sich irren: Das Platzen der Baby-Blase und der Wunderglaube an die Ganztagsbetreuung

(lifePR) (Sankt Augustin, )
Baby-Baisse statt Baby-Boom: Mit der Finanz- und Immobilienblase sind 2008 nicht nur Träume von mehr Wohlstand, sondern auch von mehr Kindern geplatzt. In den USA wie in Europa ist die Geburtenhäufigkeit seit 2008 zurückgegangen; einige Länder wie Portugal und Griechenland verzeichnen historische Negativrekorde (1). Widerlegt ist damit der Optimismus jener Sozialforscher, die jahrelang einen Wiederanstieg der Geburten prognostizierten.Über Jahre verkündeten tonangebende Sozialforscher die gute Botschaft wieder steigender Geburtenraten; besonders prominent 2009 in der Zeitschrift "Nature", die ein Comeback der Babys in Industriestaaten mit chronischem Kindermangel, namentlich Japan, Italien und Deutschland, in Aussicht stellte (2). Anlass zu diesem Optimismus gab ein gewisser Anstieg der Geburtenraten zwischen 2000 und 2008: In Mittelost- und Südeuropa waren die Geburtenraten von extrem niedrigen Werten Ende der 1990er Jahre wieder deutlich angestiegen (3). Namhafte Wissenschaftler erwarteten, dass sich der Aufwärtstrend fortsetzen und auch Länder wie Deutschland erfassen würde, in denen die Geburtenraten bis dato stagniert hatten. Auch Forscher der Max-Planck-Gesellschaft prognostizierten wiederholt einen Anstieg der deutschen Geburtenrate auf etwa 1,6 Kinder pro Frau. Ihre optimistische Sichtweise begründeten sie insbesondere mit dem Ausbau der Kinderbetreuung, von dem jüngere Frauen nun profitieren würden (4).

Das hören Politiker gerne, die Ganztagsbetreuung für eine gesellschaftspolitische Allzweckwaffe halten. Diese Waffe soll neben dem Geburtenschwund auch gegen Fachkräftemangel, Benachteiligung von Frauen, Bildungsprobleme, Kinderarmut und anderes mehr helfen. Dass die Geburtenraten in Deutschland trotz massiven Betreuungsausbaus nach wie vor stagnieren, beweist aus ihrer Sicht nur, dass noch mehr Ganztagsbetreuung erforderlich ist. Mit den Angeboten wachsen die Ansprüche, weshalb es nie genug, sondern immer nur zu wenig (Betreuung) geben kann. Widerlegen lässt sich diese Argumentation nicht,sie immunisiert sich selbst gegen Kritik (5). Das mag zum politischen Geschäft dazu gehören, zur Wissenschaft gehört aber auch kritische Revision. Irrtümer einzugestehen fällt auch Wissenschaftlern schwer; eine kritische Analyse der Fehlprognose steigender Geburtenraten findet deshalb nicht statt. Dabei bieten die empirischen Befunde dafür viel Stoff: So zeigt etwa eine aktuelle Studie der Max-Planck-Demografen, wie negativ sich die Wirtschafts- und Arbeitsmarktkrise auf die Geburtenraten auswirkt (6). Das betrifft vor allem Südeuropa, auf einem anderen Niveau aber sogar Dänemark, das oft als Vorzeigeland gilt (7). Krisenverlierer sind vor allem jüngere Menschen, die aufgrund unsicherer Lebensperspektiven mit Haushaltsgründung, Ehe und Kindern warten. Die Demografen verweisen darauf, dass diese Jungen später noch Familien gründen könnten, Geburten so "nachgeholt" werden könnten. Selbst wenn dies geschieht, sofern sich die Lage bessert, würden dennoch demografische Bremsspuren bleiben: Denn der Aufschub von Geburten in ein höheres Lebensalter ist ein entscheidender Grund für niedrige Geburtenraten. Das haben gerade die Max-Planck-Demografen immer wieder betont. Ihre Prognosen eines Wiederanstiegs der Geburtenraten begründeten sie damit, dass der jahrzehntelange Trend zum Geburtenaufschub ("postponement") zu einem Ende kommen würde (8).

Damit unterschätzten sie die Individualisierungsdynamik moderner Gesellschaften, die den Geburtenaufschub und damit den Geburtenrückgang vorantreibt (9). Krisen verschärfen diese Negativdynamik, wirtschaftliche Stabilität, soziale Sicherheit und familienpolitische Leistungen wirken ihr entgegen, wie die Geburtenstabilität in Schweden, Frankreich und - auf niedrigem Niveau - auch in Deutschland zeigt. Den Rückgangstrend wenden kann die Politik aber nicht. Überall - selbst in Frankreich mit seiner "pronatalistischen" Politik - sind die Kinderzahlen der Frauen in den letzten Jahrzehnten deutlich zurückgegangen (10). Das widerspricht dem Glauben an die Steuerbarkeit der gesellschaftlichen Entwicklung, der in Politik und Medien dominiert. Mit einer tieferen Analyse des säkularen Geburtenrückgangs lässt sich politisch kaum reüssieren. Aber um das Wohlgefallen der Politik sollte es in der Wissenschaft eigentlich auch nicht gehen.

(1) Vgl.: Geburtenrückgang nach der Finanzkrise (Abbildung). Zum Geburteneinbruch in Portugal: Lidia Tome and Filipe Ribeiro: The demographic Change in Portugal, Vortrag am 6.3.2013 bei der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Demographie.
(2) Shripad Tuljapurkar: Babies make a comeback, S. 693-694, in: nature, Vol. 460, 6. August 2009.Kritisch dazu: Nachricht der Woche 34-2009: Mehr Kinder durch mehr Wohlstand? Zweifelhafte neue Theorien, http://altewebsite.i-daf.org/....
(3) Vgl.: J. Goldstein/T. Sobotka/A. Jasilioniene: The end of lowest - low fertility? Population and Development Review, 4/2009, S. 663 ff.
(4) Exemplarisch für die optimistische Position: Joshua Goldstein/Michaela Kreyenfeld: Recenttrends in orderspecificfertilitydynamics in East and West Germany, Vortrag bei der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Demographie 2010. In späteren Publikationen ließen die Autoren das Ausmaß des Wiederanstiegs offen. Vgl.: Joshua Goldstein et al: Gibt es eine Trendumkehr in der Kinderzahl nach Geburtsjahrgängen in Deutschland? Working Paper Berliner Demografie Forum 2012.
(5) Eingehender zu dieser Argumentation: Stefan Fuchs: Gesellschaft ohne Kinder. Woran die neue Familienpolitik scheitert, Wiesbaden 2014, S. 353 ff.
(6) Vgl.: Joshua Goldstein et. al: Fertility Reactions to the "Great Recession" in Europe: Recent Evidence from Order-Specific Data, Demographic Research 29/2014, S. 85-104.
(7) Zur Entwicklung in Dänemark siehe das "Datenblatt" zur o. g. Studie, abrufbar unter: http://www.demogr.mpg.de/....
(8) Siehe hierzu die Abbildungen: "SDT": Aufschub der Familiengründung/Erstgebäralter und Geburtenraten.
(9) Eingehender hierzu: Stefan Fuchs: Gesellschaft ohne Kinder, a.a.O., S. 375-378.

Vgl. ebd., S. 265 ff.

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